„Unsere Demokratie“: Das Totenbett der Volkssouveränität
Ab wann befällt die Mehrheit eigentlich mal ein „Systemunbehagen“?
von MILOSZ MATUSCHEK
APR. 3
„Was bringt eine Wahl, wenn das System das Problem ist?“ – so lautete der Titel eines Textes von mir zur letzten Wahl, in welchem ich darlege, warum ich nicht wählen gehe. Ich respektiere den Wahlakt eines jeden, sehe jedoch selbst wenig Sinn in der Unterstützung einer Nomenklatura, die mich zu einer demokratischen Wahl auffordert, während sie offensichtlich an der Abschaffung der Demokratie arbeitet und die eigenen Regeln untergräbt.
Es ist historisch beispiellos, wie mit Wahlbetrug und Hochrüstungsrhetorik die Demokratie beschädigt und die eigene Glaubwürdigkeit auf Null gesetzt wurde – und das noch vor Vereidigung einer neuen Regierung. Zum Hohn sollen nun zeitgleich, „Lügen“ unter Strafe gestellt werden. Jede Eidesleistung aus den Mündern dieser Nomenklatura kann schon jetzt nicht anders wirken als Realsatire.
Demokratischer Geist und Regeln
Demokratie hat viel mit Regeln zu tun. Legitimität entsteht eben auch durch Verfahren. Die ehemalige Bundestagsabgeordnete Joana Cotar offenbarte zuletzt in einem Interview, wie gröblich Verfahrensregeln mit Füßen getreten werden. (Video dazu weiter unten)
Im Herzen der Demokratie interessiert man sich nicht für parlamentarische Rechte und damit herzlich wenig für das Recht der Wähler, mit ihrer Wahlentscheidung parlamentarische Prozesse mitzugestalten. Prozesse, die der Aufklärung, der Transparenz und der politischen Verantwortlichmachung dienen. Fällt dann noch die Presse als Wachhund aus, wird aus dem Debattenraum die private Kleinkunstbühne für parteiische Agendaschubser, die vor nichts mehr Angst haben, als dass ihre Dogmen Widerspruch ernten.
Noch mehr zu tun hat Demokratie mit einem Klima der Freiheit. Demokratie stirbt nicht erst, wenn zentrale parlamentarische Prozesse system-immanent vereitelt werden, sondern schon viel früher, nämlich auf der geistigen Ebene, zu der eine geteilte Vorstellung über ein demokratisches Klima gehört, die Gedankenaustausch und Widerspruchsgeist fördert – und nicht, wie jetzt: unterbindet.
In einem System, das auf der Idee aufbaut, dass jedem Menschen eine Stimme zusteht, kann es per Definition keine Dissidenten geben. Keine Ausgeschlossenen. Denn Widerspruch, auch fundamentaler Widerspruch, gehört zu den essentiellen Elementen, die eine Demokratie einladen und verarbeiten muss, wenn sie sich nicht in einen nordkoreanischen Parteikongress verwandeln will. Demokratie durch Diskussion? Eher sehen wir gerade Demokratur per Dekret.
Dass Demokratie in eine Tyrannei der Mehrheit ausarten kann, wusste bereits Alexis de Tocqueville in seiner Schrift „Über die Demokratie in Amerika“. Heute genügt dafür schon eine medial erschaffene Mehrheit in Form eines Konglomerats der „richtigen Seite“. Die Entartung der Demokratie in eine Oligarchie – man nenne sie Machtelite, Nomenklatura, Deep State, was auch immer – ist nicht die Ausnahme, sondern die Regel, wusste vor 100 Jahren schon Robert Michels mit seinem „ehernen Gesetz der Oligarchie“.
Die Diskussion darüber findet in „unserer Demokratie“ jedoch nicht statt oder allenfalls unter dem Etikett der Verschwörungstheorie. Systeme, so wissen wir schon aus der Biologie, verteidigen sich am liebsten durch immunologische Abwehrreaktionen, durch Ausschluss, statt Integration und Verarbeitung des vermeintlich Störenden. „Unsere Demokratie“, angeblich die beste Demokratie aller Zeiten ist scheinbar so fragil, dass sie schon Angst haben muss, durch den leisesten Hauch von Kritik aus den Latschen gekippt zu werden.
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